Grauer Norden, bunter Süden – Hat Lebensfreude Koordinaten?

Gerade noch in Tokio, 4 Stunden später werde ich in Manila ausgespuckt. Ich spür den Kontrast, wie man ihn nicht stärker spüren könnte. Und da ist sie wieder diese Frage: Warum wirken Menschen in Ländern, wo alles Luxus ist so harsch und unfröhlich auf mich? Und in den ärmeren Ländern scheint die Lebensfreude zu sprudeln. Irgendwie… absurd!

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Der Norden grau und erfolgreich, der Süden sonnig und semi-erfolgreich. Wenn ihr die Worte Lebensfreude, Geselligkeit, Fröhlichkeit hört, welche Länder kommen euch in den Sinn? Und bei den Begriffen Wirtschaftsmacht, technologischer Fortschritt und Wohlstand? Wirft man jetzt einen Blick auf die Landkarte, liegen bei meinem Ergebnis die ersten Länder näher am Äquator, also in warmen Gebieten: Brasilien, Argentinien, eigentlich Südamerika im Allgemeinen, Australien, Indonesien, Spanien, sogar Afrika findet sich auf meiner Liste. Die letzteren Begriffe ehr in kühleren Zonen: Japan, Deutschland, Frankreich, Schweden, Amerika. Heißt das also, dass das Wetter auf Gemüt und Erfolg schlägt – und zwar wechselseitig? 

Ich wage einen Blick auf die Seite “Erfolg”: Warum einige Länder aufgrund ihrer Geographie wirtschaftlich erfolgreicher sind als andere, warum die politische Lage unterschiedlich stabil oder instabil ist erläutert Tim Marshall in seinem Buch “Die Macht der Geographie” beeindruckend anschaulich. Ich hab das Buch verschlungen. Hätte ich bei diesem Thema niemals erwartet. Der wirtschaftliche Erfolg hängt also stark von der politischen Situation ab, diese und die Wirtschaftskraft wiederum von den geografischen Gegebenheiten. 

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus? Bei der “Lebensfreude”? Hätten nicht gerade die Länder, in denen es wirtschaftlich überaus super läuft, allen Grund den ganzen Tag zu tanzen? Und dann blicke ich in die Gesichter, die sich morgens in die U-Bahn drängen oder mittags hektisch durch die Straßen schieben, denke an den Suizid-Wald in Japan oder die vielen einsamen Herzen in Schweden (Schweden hat die meisten Single-Haushalte). Bei aller Sicherheit, all der Technologie, die den Alltag ach so annehmlich macht, den ganzen Rundum-Verwöhn-Spa-Anlagen – Lebensfreude scheint es nicht zu bringen. 

Was ist es dann? Haben wir den Bezug zu den kleinen Freuden im Leben verloren? Sind fest im Hamsterrad gefangen? Genau genommen haben wir uns da immerhin ganz alleine reingestellt. Und sind auch gar nicht richtig bereit aufzuhören zu rennen oder gar den Platz zu räumen. Angetrieben von der Hoffnung, wenn man nur schnell genug weiter rennt, wartet irgendwo das Glück. Spätestens in der Rente. Dann kann man all das machen, wofür man ein Leben lang vorgesorgt hat. Hoffentlich geht das dann noch, rein körperlich!

Sind es tatsächlich die Sorgen des Wohlstands? Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Man muss also vorplanen, vorsorgen. Soll ja nicht irgendwann weniger werden. Also werden die Vorratskammern an geldwerten Dingen gefüllt und gefüllt, während die Inflation von unten wegknabbert und die Unsicherheit der nicht vorhersehbaren Zukunft den Bedarf an Vorräten immer höher steigen lässt. Willkommen zurück im Hamsterrad. Das hat uns also die landwirtschaftliche Revolution vor über 12.000 Jahren gebracht. Wir haben Besitztümer, die es zu verteidigen gibt und benötigen Vorräte, um schlechte Zeiten zu überstehen. Da hatten es die Jäger und Sammler einfacher. Sie konnten einfach weiterziehen, die Natur hat für den täglichen Bedarf an Nahrung gesorgt und Besitztümer konnte man eh nicht mitschleppen, waren nur Ballast und hatten daher keine Bedeutung. Wie einfach alles war. Spannend illustriert hat den Fluch und Segen unserer Geschichte der israelische Historiker Yuval Noah Harari in seinem Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit”. 

Vielleicht ist der Grund für Fröhlichkeit aber auch viel einfacher: die Sonne. Uns fehlt einfach ausreichend Vitamin D, das leichte prickeln auf der Haut und vor allem Licht! Bei den dunklen kalten Wintern muss man ja grieskrämig werden. Und rausgehen will auch keiner. Also bleiben alle zu Hause, Fernseher an, fertig! Kein Raum für ausgelassenes, entspanntes Miteinander. In den Süden gesprungen: Wenn es warm, nein sogar richtig heiß ist, bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, als mittags, wenn die Sonne senkrecht auf Mensch und Natur brennt, Fünfe gerade sein zu lassen. Durch den Tag hechten, geht also gar nicht. Abends ist es dann um so schöner draußen. Und draußen ist es unkompliziert zusammen zu kommen. Da ist sie, die Geselligkeit. 

Ein weiterer Gedanke: körperliche Belastung vs Sozialdruck. Was von beidem schlägt stärker aufs Gemüt? Burnout, Depression, Suizid. Ich bin nicht belesen auf dem Gebiet, möchte also keine falschen Schlüsse ziehen. Mir scheint aber, dass die Ursachen für negative Gefühle viel stärker in den Dingen begründet sind, die wir als Gesellschaft als Ideologien und Mythen miteinander teilen, in unseren Gedanken erschaffen und als Werte gemeinsam leben. Schlichtweg hausgemacht. Biologisch gibt das meist wenig Sinn. Wir brauchen das zum Überleben nicht. Man kann es also kaum “natürlich” nennen. Wenn wir also von klein auf hören, dass es gut und erstrebenswert ist, es im Leben zu etwas zu bringen und damit meinen, Geld anzuhäufen, definieren wir Erfolg über Geld. In anderen Gesellschaftsformen steht vielleicht an erster Stelle, eine Familie zu gründen. Das, so sagt die Ideologie, ist Erfolg im Leben. Wirtschaftsform/Organisationsform, Religion, Kultur – all das prägt unsere Gedanken, Gefühle und letztendlich unser Verhalten. Aber mal ehrlich, wir könnten alles mögliche als Erfolg definieren – wir müssen nur als eine relevant große Gruppe gemeinschaftlich daran glauben. Schon verrückt wie einfach und doch schwierig wir Menschen mit unseren Gedankenkonstrukten sind. 

Und so spinne ich in meinen Gedanken das Netz an Möglichkeiten für die Ursache, dass Lebensfreude so unterschiedlich empfunden, gelebt oder einfach nur zum Ausdruck gebracht wird auf diesem Planeten, weiter.

Was sind eure Gedanken dazu? Freue mich über Denkanstöße, Fakten, Leseempfehlungen, Fragen und Beobachtungen…

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2 Kommentare

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Liebe Simone, vorab ein großes Dankeschön für deine Gedanken und vor allem Anregungen, sich selbst mal wieder zu hinterfragen! Passend zum Jahresende. Nichts bleibt wie es ist. Das gilt für uns alle. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich übe mich immer wieder in Dankbarkeit. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, alles kann von einem Moment zum nächsten anders sein! Die Dinge im alltäglichen Leben nicht zu selbstverstöndlich nehmen, fördert achtsam und behutsam zu bleiben. Und das wiederum macht zufrieden. Von glücklich sein möchte ich gar nicht sprechen, weil ich denke, glücklich sein kann nur in Momenten erlebbar sein. Und nicht als dauerhafter Zustand. Ich habe mich nicht wissenschaftlich mit dem „glücklich sein“ beschäftigt, ich habe eher die „leichte“ literatur diesbzgl gelesen, wie zb „anleitung zum unglücklich sein“ oder „alles fließt, sagt heraklit“. Abschließend möchte ich sagen, wer neugierig und begeisterungsfähig im Leben bleibt, der wird immer wieder glücklich sein! Und so lange ich mich noch über Gänseblümchen auf einer Wiese freuen kann, habe ich den Blick für das Wesentliche noch nicht verloren! „be water, my friend“ (dieses Zitat von Bruce Lee begleitet mich bereits viele viele Jahre) Namaste!

Liebe Anke, vielen Dank für deine Gedanken und die “Übersetzung” von der allgemeinen, grob gesellschaftlichen Sicht in unser individuelles Leben.

Das abschließende Zitat hab ich doch glatt mal gegoogelt, um sicher zu gehen, dass ich es richtig deute. Schön beschrieben hier auf quora.com: >> You put water into a bottle, it becomes the bottle. You put it in a teapot, it becomes the teapot. Now water can flow or it can crash. Be water, my friend.” He is urging us to be adaptable to any situation. << Ein wirklich schönes Bild. Denn Wasser bleibt sich bei aller Anpassungsfähigkeit dennoch immer treu - es bleibt Wasser. Vielen Dank auch für die Buchempfehlungen. Die Titel kommen mir bekannt vor, ich habe sie aber noch nicht gelesen. Sind jetzt auf meiner Liste. 🙂

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