Erster Eindruck: Hier ist mehr los! Vor dem Hauptbahnhof gibt es z.B. eine Ausstellung zu aktuellen Innovationsprojekten. Aber auch mehr Verkehr… Auf dem Weg vom Busbahnhof zur Unterkunft musste ich mich erst einmal durch das Tunnelsystem kämpfen, um die andere Straßenseite zu erreichen. Geschafft! Naja, mit zweimal Treppe hoch, gucken, Treppe runter, korrigieren. Angekommen!
Die Altstadt war schnell erreicht. Hier brummt das Tourileben. Überall tönt Musik aus den Lokalen – was mir so noch nirgends aufgefallen war. Alles wirkt beschäftigt und doch entspannt. Und sehr grün. Es gibt etliche Grünanlagen um die Altstadt herum. Warum, erfahre ich in der Free-Walking Tour am übernächsten Tag. Und der geneigte Leser weiter unten…
Ich mach blau!
Viieeel Input – und noch mehr Kilometer in den Beinen. Ich brauche Strand. Und da mich nur 20 Min. und 1,40€ davon trennen: auf geht’s! In Jūrmala angekommen kann ich es dann doch nicht lassen: Ich fahre so weit es geht und >laufe< dann am Strand entlang zurück. „So weit es geht“ war allerdings über die Endhaltestelle hinaus. Ups! Die Ansagen versteh ich ja leider nicht und – ja, ich hatte ne Vorahnung, hab’s aber drauf angelegt. Die Schaffnerin wirkte zwar etwas verzweifelt bzgl. meiner Anwesenheit und den nicht vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten. Mit Händen und Füßen haben wir uns dann darauf geeinigt, dass ich einfach hier unterwegs aussteige. Wollte schon immer mal irgendwo mittendrin raushüpfen und mich über die Gleise schleichen. Alles also halb so wild. Und auch ohne Nervenzusammenbruch der Schaffnerin, dafür mit viel Lachen die Situation und den Strandtag gerettet.
Art Nouveau – und zack… 800 Häuser mehr in Riga.
Wer es noch nicht kennt: Free Walking Touren gibt’s in ganz Europa – oh ich korrigiere, weil gerade gesehen: weltweit. Und ich hab noch nie daneben gegriffen. Kurzweilig, inspirierend, begeisternd und meist mit einer Priese Humor. Infos dazu gibt’s hier. „Free“ übrigens, weil es keinen Preis gibt, sondern die Touren sich ausschließlich über das Trinkgeld finanzieren.
Ich hab mich für die Sondertour zum Thema Art Nouveau mit Fokus auf Architektur entschieden. Gute Wahl! …wie ich finde.
Wir blicken ins 19. Jahrhundert. Die Bevölkerungszahl Rigas wuchs bereits in den vergangenen 2 Jahrhunderten stark an. Riga wird zu einem der wichtigsten Häfen Russlands. Mit der Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft strömten diese in die Handelsstadt Riga. Ganze Viertel bestanden aus der befreiten Bevölkerung. Wohnraum musste geschaffen werden. Art Nouveau hat ganz unterschiedliche optische Ausprägungen in ganz Europa. Es ist aber nicht nur die Optik, sondern eine neue Funktionalität die diesen Stil auszeichnet. Es geht darum, nicht etwas weiterzuentwickeln, sondern wirklich Neues zu schaffen. Fenster sind z.B. unterschiedlich groß, je nach Raumgröße. Ziel: bestmöglich Tageslicht in der Wohnung nutzen. Funktionalität. Art Nouveau – sehr spät in Riga angekommen – schafft es innerhalb weniger Jahre, das Stadtbild zu prägen. Dank neuer Bautechniken entstehen in nur knapp 10 Jahren 800 Gebäude im Art Nouveau Stil. Zu dieser Zeit gelang es, die Bauzeit eines Gebäudes von 5–6 Jahren auf 2–3 zu reduzieren.
Ach ja, und grün ist es um die Altstadt. Das hat allerdings erst einmal nichts mit Art Nouveau zu tun. Nach einem großen Brand werden starke Bauvorschriften erlassen. Daher besitzt die expandierende Stadt städtische Kohärenz – sie wird mit ihren Boulevards und Gärten entlang eines Gittermusters, nach strengen Bauvorschriften entwickelt.
Dinge, die ich in Lettland gelernt habe
1. Ich bin nicht verrückt – ich bin doch spießig. Da glaubt man gerade, dass man mit der „ich zieh einfach mal los“-Idee, was ganz Verrücktes macht. Nicht einzigartig, aber schon ein bißchen mutig. Schwups trifft man eine Person, die das mal locker toppt. Mit dem Kickroller von Schweden bis Moskau, dann ebenfalls die Trassib bis in die Mongolei. Und dann – völlig logisch – Pferd kaufen und mit Zelt einmal quer durch. Ok, ich mach das mit den Fähnchen! (Zitat Sparkassenwerbung)
2. Platz ist in der kleinsten Hütte. Vom 12-Bett-Zimmer auf 9-Bett-Zimmer upgegraded. Yeay! Ich hab tatsächlich mehrfach nachgezählt – irgendwie fiel das gar nicht auf, dass wir so viele waren im Zimmer. Und das auf echt engem Raum. Hat bestimmt Ikea gebaut, dieses Raumwunder-Hostel.
3. Kunst-Leistungskurs ist eeeewig her. Und ich war ja auch nie die fleißigste (in der Schule). Schon echt erschreckend wie wenig man noch weiß – korrigiere: wie wenig ich noch weiß. Kurzzeitgedächtniskernkompetenz par excellence. Um so mehr konnte ich mich über die Entscheidung zu der Free Walking Tour unter dem Motto Art Nouveau freuen.
Und nun geht’s weiter nach Estland.