Tana Toraja und der Totenkult

Völlig ahnungslos komme ich in Rantepao an. Morgen soll ich an einer Zeremonie teilnehmen. Klingt für mich erst mal spannend und auch irgendwie nach Spaß.

Erst als ich beim Frühstück, Paulus meinen Host und Guide für die nächsten Tage, nach der Kleiderordnung frage, dämmert es mir langsam. Wir gehen auf eine Beerdigung. Vorsichtig hake ich nach: „Sicher, dass ich da als Fremde mitkommen kann?“ – „Na, klar!“ bekomme ich als Antwort. Das ist hier in der Gegend eine riesige Zeremonie so eine Beerdigung, ein großes Fest. Und je mehr Menschen kommen, umso angesehener ist der oder die Verstorbene.

Ich werfe mich also in lange, ehr gedeckte Klamotten, Paulus leiht mir noch einen Sarong und wir fahren los. Kurz halten wir noch an einem Kiosk und Paulus organisiert uns ein angemessenes Gastgeschenk: eine Stange Zigaretten. Auf dem Weg erfahre ich, dass eine Beerdigung hier ca. 5 Tage lang dauert und so teuer ist, dass viele Familien etliche Jahre dafür sparen müssen. Wir werden heute an Tag zwei teilnehmen. An diesem Tag werden alle Gäste persönlich und mit viel Rahmenprogramm begrüßt. Den Tag zuvor ist bereits der Verstorbene in seinem Haus abgeholt und feierlich zur Feststätte gebracht worden.

Zwischen Parkplatz und Feierstätte noch kurz Paulus Frage: „Hast du ein Problem mit den Schweinen oder ist das ok?“ Schweine? Nicht meine Lieblingstiere, aber können auch ganz süß sein. Ich sollte schnell erfahren, was er meinte. Als Kondolenzgeschenk werden neben unglaublich prächtigen und noch unglaublicher teuren Büffel auch Schweine dargebracht. Damit diese nicht wild durch die Gegend laufen und leicht getragen werden können, werden sie an Bambusstangen mit Körper und allen vier Beinen festgebunden und liegen so überall am Boden rum. Die Geräuschkulisse ist entsprechend herzzerreißend. Definitiv nichts für schwache Gemüter.

Bevor jetzt die Zeigefinger gehoben werden… ich habe mich kurz einmal besonnen: Was wir in Europa mit unserer Massentierhaltung fabrizieren, ist wahrscheinlich das größte Verbrechen an Lebewesen, das es je gegeben hat. Man sieht es nur nicht bzw. Wegschauen wird einem leicht gemacht.

Das Gelände der Zeremonie ist riesig. Wie ich erfahre, werden die Tribünen und alles drum herum extra über mehrere Monate hinweg aufgebaut. Und das für diese eine Zeremonie. Kein Wunder, dass das alles so ungeheuer teuer ist. In einzelnen Gruppen werden die Gäste empfangen. Sie bringen Büffel oder Schweine mit und zur Begrüßung wird Kaffee oder Tee gereicht. Musikalische Untermalung und Tanz darf natürlich nicht fehlen.

Büffel spielen eine sehr große Rolle bei einer Beerdigung. Ein Büffel, der hier wie bei uns die Blumenkränze als Zeichen der Kondolenz dargebracht werden, haben die Aufgabe, den Verstorbenen über den Fluss ins Jenseits zu transportieren. Wenn nicht genügend Büffel dargebracht und auch geopfert werden, kann der Verstorbene niemals den Himmel erreichen. Bei dieser Zeremonie – und es ist eine wirklich große – kommen ca. 90 Büffel zusammen. Nicht alle werden geschlachtet werden. Ein Büffel kostet umgerechnet zwischen 3.000 und 80.000 EUR.

Ja, alles in allem ist das so unglaublich teuer. Bis eine Familie ausreichend Geld für eine solche Zeremonie, die durchaus der Oberschicht vorbehalten ist, zusammen hat, wird der oder die Verstorbene zu Hause behalten und gilt lediglich als krank, nicht als tot. Das hat zur Folge, dass regelmäßig Mahlzeiten ins „Krankenzimmer“ gebracht werden und sich auch ganz normal mit den „Erkrankten“ unterhalten wird. Sie nehmen also weiterhin am Familienleben teil. Dies kann durchaus auch einmal mehrere Monate, sogar Jahre so gehen.

Damit der Verwesungsprozess nicht für starke Geruchsbildung sorgt, werden heute Injektionen verabreicht, die die Poren schließen und die Haut hölzern werden lässt. Gerüche können daher nicht entweichen. Früher hat eine Art Mumifizierung für die Haltbarkeit gesorgt. Es klingt recht gruselig, muss ich zugeben. Es ist uns aber lediglich fremd. Die Stimmung und Atmosphäre ist durchweg fröhlich und feierlich. Nichts Abstoßendes. Ich werde erst Tage später merken und verarbeiten, wie fremd das Erlebte für mich ist.

Übermorgen, also am vierten Tag der Zeremonie, werden wir noch einmal vorbeikommen. An diesem Tag werden die Tiere gezählt und anschließend geschlachtet, das Fleisch vorort gegessen und der Rest auf die Gäste verteilt. Paulus meint, wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich das Opfern (Kehlenschnitt mit Schwert) sehen möchte, sollten wir besser gehen. Das taten wir dann auch.

Die Abende in geselliger Nachbarschaft

Das Haus von Paulus Familie stand in einer kleinen Siedlung am Stadtrand Rantepaos. Am Abend kamen Nachbarn hier zusammen, spielten Domino und tranken Paulus Wein. Ich weiß noch, wie ich mich auf mein erstes Glas am Abend freute. Die Freude sollte nicht lange halten. Es ist nämlich kein Wein, wie wir ihn kennen. Palmwein schmeckt unglaublich sauer. Und stark. Im allgemeinen sollte ich meine komplette Zeit auf Sulawesi mit dem hiesigen Alkohol nicht wirklich warm werden. Ist ja aber auch nicht das Schlimmste.

Es waren oft Kleinigkeiten, die ich nur am Rande wahrnahm… und die hier so „normal“ sind. Einige der Männer brachten manchmal einen Hahn mit, ihren eigenen Haushahn. Sie streichelten ihn stundenlang und pflegten ihn wie andere ihre Schmusekatze. Irgendwann zu späterer Stunde waren die Hähne weg. Bis ich merkte, dass sich die am Baum aufgehängten Säcke bewegten. Die Hähne wurden also irgendwann einfach in einen Sack gesteckt und an den Baum gehängt. Gute Nacht lieber Gockel.

Spätestens um halb vier morgens soll dann ja auch wieder Schluss sein mit der Nachtruhe. Das morgendliche Hahnkonzert, dass durch den gesamten Ort schallt sucht wirklich seinesgleichen. Neben Stieren sind Hähne eben das Haustier Nummer eins.

Ausflüge in die unterschiedlichsten Ecken Tana Torajas

Am nächsten Tag machen wir uns auf in eines der Orte mit den typischen traditionellen Häusern. Die Häuser sind alle nach Norden ausgerichtet und die Dächer greifen die Form von Schiffen auf – beides erinnert daran, dass das Volk der Torajas dereinst aus Norden mit Schiffen hier ankamen.

Traditionelle Häuser bestehen aus drei Zimmern. Einem Schlafzimmer, einem mittleren Raum, in dem das Leben stattfindet und einem weiteren Raum am anderen Ende, in dem die Verstorbenen bzw. „Kranken“ bis zur Beerdigung wohnen. Gegenüber des Hauses befinden sich kleiner Häuser, die zur Aufbewahrung von Reis dienen. Die Front des Hauses zieren Schädel und Hörner von Büffel.

Am letzten Tag der Zeremonie werden die Verstorbenen in einen Sarg in einem Felsen gebracht. In einigen Gegenden besteht die Tradition noch, die Leichname einmal im Jahr – immer im August – aus dem Sarg zu nehmen und neu einzukleiden. Dies wird so lange wiederholt, bis der Leichnam ausreichend verwest ist und genügend Skelette zusammen gekommen sind, um diese in die „Sammel“-Särge am Felsen zu geben.

Ja, manchmal fällt so ein Sarg eben runter. Wenn ich heute, einige Monate später an diese Orte denke, wirkt es ganz schön spooky. Damals war das irgendwie ok, fast schon normal. Ich fand die Orte richtig schön.

Besonders wohlhabende Menschen lassen zusätzlich auch Tao-Taos erstellen. Das sind Puppen, die der verstorbenen Person ähnlich sehen. Diese werden vor den Gräbern platziert und dienen der Erinnerung.

Stier- und Hahnenkampf

Die Zeremonie wird von zwei weiteren Events begleitet. Unsere erste Station: Stierkampf. Ich fand es ja schon fast amüsant, wie manche Tiere sich einfach verweigerten und kein Kampf zustande kam. Es gab allerdings auch einige wirklich verbissene Auseinandersetzungen, die meist außerhalb der Manege fortgesetzt werden. Verloren hat der Stier, der irgendwann davon rennt. Und sie rennen schnell und weit… und über so manches Motorrad hinweg.

Etwas härter fand ich die eigentlich verbotenen Hahnenkämpfe. Schließlich geht es hier wirklich um Leben und Tod. Dennoch gehören sie hier so stark zur Tradition und Kultur wie die aufwändigen Beerdigungen. Jeder Mann, wirklich jeder Mann träumt davon, einmal einen Hahn ins Rennen zu schicken. Hopp oder Topp! Nur einer wird überleben.

Der Süden und der Norden

Beides muss man landschaftlich einfach gesehen haben. Die umliegenden Berge eignen sich übrigens auch hervorragend für Wanderungen – am besten so planen, dass man zum Sonnenaufgang den Blick von oben genießen kann.

Ich liebte es, mit Paulus durch die Gegend zu fahren. Die Straßenverhältnisse ließen uns auch irgendwann von meinem Bemo auf seinen Roller umsteigen. Schon faszinierend, wo man mit einem Roller überall längs kommt. Irgendwo wird übrigens immer eine Beerdigung gerade auf- oder abgebaut.

Marktzeit

Rantepao hat einen riesigen Markt, auf dem man neben Obst, Gemüse, Gewürze und andere Lebensmittel auch Kleidung und Stoffe und eigentlich alles, was man zum Leben benötigt, bekommt. Ein Bummel lohnt sich unbedingt.

Daneben gibt es aber natürlich auch noch den berühmten Markt, auf dem man seine Kondulenzgeschenke erwerben kann: Stiere und Schweine in einer überragenden Anzahl.

Es waren wirklich überwältigende fünf Tage. Paulus Familie habe ich regelrecht ins Herz geschlossen.

Die nächsten Etappen werde ich nun erst einmal auf mich allein gestellt sein. Keine Empfehlungen mehr für Unterkünfte oder weitere Kontaktpersonen. Bis Una Una muss ich mich wohl irgendwie durchschlagen. Dort hab ich dann Umar als Kontakt von Paulus bekommen. Aber bis dahin sind es noch mehrere hundert Kilometer. Und mein Visum muss ich auch irgendwo verlängert bekommen. Am besten in Palopo – so der Plan.

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