Mongolei : Wild, wild World

Ulaanbaatar. Angekommen in meinem netten, familiären Hostel. Oder sollte ich Jurte sagen? Auf dem Dach hat das Hostel nämlich 5 Gears aufgestellt. So nennt man die in der Mongolei typischen Wohnungen – die runden, irgendwie isolierten mit Lüftung oben in der Kuppe auf- und abbaubaren Zelte der Nomaden. Hier schmiede ich nun meine Pläne für dieses Land. Jeep-Safari in die Wüste Gobi, geführte Ausflüge mit Pferd oder Kamel oder mit Öffis rüber in den Westen, wo man noch ganz wenige Eagel-Hunter findet. Klingt alles total abenteuerlich. Wenn ich da nicht diesen Floh im Ohr hätte. Nach zwei Tagen steht die Entscheidung: Ich mach’s!

Mit eigenem Pferd durch die Prärie

Und schon sitze ich wieder im Zug Richtung Norden nach Süchbaatar. Ich hab’s tatsächlich gemacht: Pferd gekauft! Und damit geht es – zusammen mit Metin, einem Schweden, den ich bereits in Riga kennen gelernt habe und der mir diesen Floh in den Kopf gepflanzt hat – durch die Wildnis. Geschlafen wird im Zelt, tagsüber geritten und nach dem nächsten Schlafplatz Ausschau gehalten. Zwei Kriterien müssen dafür erfüllt sein: Wasser in der Nähe und ein Baum zum Anbinden. Letzteres gar nicht so einfach.

Wir haben viele Geschichten im Vorfeld gehört – von Einheimischen, Zugezogenen und anderen Reisenden: „Niemand wird Euch Ausländern in der Mongolei ein Pferd verkaufen.“, „Ihr werdet ausgeraubt.“, „Euch werden die Pferde nachts gestohlen.“ und und und… Und was war? Wir wurden mit Wassermelonen beschenkt, uns wurde Eiscreme gebracht und fast jeden Morgen hatten wir neugierigen und netten Frühstücksbesuch. Wo auch immer der herkam, zu sehen war weit und breit kein einziges Haus. Letztendlich muss man sagen: Wahrscheinlich hatten wir einfach kein Pech.

Die ersten beiden Tage waren allerdings wirklich herausfordernd. Ich habe das erste Mal im Leben meine körperliche und mentale Grenze so richtig gespürt. Der Grund: Moskitos. Und nicht ein paar hundert, sondern Millionen. Nicht abzuhalten durch lange Kleidung, Insektenspray oder andere Tricks. Kaum ein Fleck auf der Haut blieb frei. Morgens und abends war es besonders schlimm. Eingekesselt zwischen Fluss, der lebensnotwendig war zwecks Wasser, und Bahnschienen, die nicht zu überqueren waren, da sie kilometerlang durch Zäune vor sämtlichen freilaufenden Tieren geschützt wurden. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Kurz davor aufzugeben. Dieses andauernde Gefühl von tausenden Nadelstichen auf der Haut. Diese reagierte zumal heftig auf die Stiche. Dennoch: Wie froh bin ich heute, dass ich die letzten 5 Stunden dann doch noch durchgehalten habe. Es wäre wohl leichter gewesen, hätte ich gewusst, dass es nur noch ein paar Stunden sind. Die Landschaft änderte sich plötzlich, wir hatten die Bahnschienen hinter uns gelassen, konnten an Höhe gewinnen… und … waren die Moskitos tatsächlich los.

Jetzt beginnt der schöne Teil. Nein, nicht schön, überwältigend, sprachlos machend, unbeschreiblich, grandios. Wie durch eine Fantasiewelt reiten wir an Herden von Wildpferden vorbei. Dann wieder Schafe. Und immer diese unendliche Weite, die lediglich von mit grünem Samt überzogenen Bergen modelliert wird.

Dann hin und wieder ein kleiner Ort. Fast verlassen wirkend manchmal. An einer Stelle fragen wir nach dem nächsten Supermarkt – mit Händen und Füßen. Wir sprechen nur die 4 wichtigsten Worte mongolisch. Englisch bringt einem hier leider rein gar nichts. Auf einmal werden wir eingeladen, bei einer Familie zu Hause zu übernachten. Was für ein Geschenk. Wir schlafen also mit Frau, Mann, zwei kleinen Kindern und Schwiegermama im Wohnzimmer auf dem Boden, nehmen eine „Dusche“ aus der Schüssel im Hof und können diese Gastfreundlichkeit gar nicht wirklich glauben.

Zu Essen gibt es hier in der Mongolei früh, mittags und abends Hammelfleisch. Und alles was man aus Milch machen kann: Milchtee, Milchschnaps, Milchcoockies… Man muss es schon mögen. Aber verständlich ist es. Gemüse Fehlanzeige. Das wächst hier einfach nicht.

Die Einladung, bei sich zu Hause zu wohnen, soll nicht die einzige geblieben sein. In Darchan werden wir erneut eingeladen… und so reichlich beschenkt. Es war mir fast schon unangenehm.

Dann passiert das, was uns als Risiko natürlich bewußt war: Eines der beiden Pferde hat eine Verletzung. Der nicht sonderlich gute Sattel, hatte eine Druckstelle am Rücken hinterlassen, die sich im Laufe des Tages, für uns unsichtbar unterhalb des Sattels, entzündet hat. Wir bleiben also hier, ich lerne Spritzen zu setzten, und wir hoffen, dass es besser wird. Wird es auch. Allerdings wird schnell klar, dass das durchaus eine Weile dauern wird – unsere 30 Tage Aufenthaltserlaubnis sich allerdings dem Ende neigen.

Beide Pferde gaben wir in gute Hände, die es unserer Meinung nach „verdient“ hatten und auch gut gebrauchen konnten. Eines schenkten wir der Familie bei der wir zuletzt untergekommen waren, eines ging zurück an die Ranch, wo wir es gekauft hatten. Allerdings nicht an den Besitzer, sondern an den Pfleger, der sich so rührend um die Tiere kümmert, aber kein eigenes besitzt. Das sollte sich ändern.

Und so hieß es: Bye bye, Bör Mör! Was a pleasure riding you through this amazing landscape. Nein, es war in der Tat nicht einfach, die Pferde zurückzulassen. Aber wir wussten sie gut aufgehoben.

Pferdestärkenwechsel

Zurück in Ulaanbaatar mieten wir uns ein Auto und erkunden noch etwas vom mittleren Westen der Mongolei. Ich hätte nicht gedacht, dass das nochmal so abenteuerlich werden wird. Im Sand stecken bleiben war eine der leichteren Übungen. Aber es war es wert. Weitere unglaubliche Camping-Spots warteten auf uns.

Diese vier Wochen waren wahrscheinlich das Verrückteste und Abenteuerlichste, was ich je in meinem Leben getan habe. Ich bin unendlich dankbar für die Erfahrung, an Grenzen zu gehen, ein ganz anderes ich von mir zu erleben (8 Tage ohne Spiegel waren da wahrscheinlich noch das einfachste) und eintauchen zu können in eine so ganz andere Welt. Für den anfänglichen Mut bin ich unendlich entlohnt worden. Ich gehe so viel reicher als ich gekommen bin.

Dinge, die ich in der Mongolei gelernt habe

1. Ich bin verrückt. Manchmal kann ich es selbst kaum glauben, dass ich das wirklich getan habe. Ich lese den Artikel und fühle mich wie in einem selbst verfassten Roman. Kurz kneifen. Doch! Ich war da mittendrin. Dieses „einfach machen“ scheint mir irgendwie zu liegen. Allerdings nur mit der richtigen Balance aus nötigen Grundinformationen und Mut – alles andere kippt entweder in Richtung „ich bleib besser in meiner Komfortzone“ oder puren „Irrsinn und Dummheit“.

2. Wie man ein mongolisches Pferd reitet. Das ist ehrlich gesagt ganz anders als mit den Europäern. Mongolische Pferde lernen lediglich, dich nicht sofort wieder abzuwerfen. Alles andere musst du selbst mit dem Pferd ausmachen. Also gar nicht so schlimm, dass ich das letzte Mal mit elf auf einem Pferd saß – hätte mir hier eh nichts geholfen. Zu den Lernportionen hinzu kommt natürlich das Versorgen des Pferdes – bis hin zum Setzen von Spritzen. War schon eine besondere Beziehung, die man in so kurzer Zeit zu seinem Weggefährten, der einen Tag ein Tag aus durch die Landschaft trägt, aufbaut.

3. Moskitos bringen mich an meine Grenze. Zum einen körperlich, weil sie in der Anzahl wirkliche Schmerzen verursachen, aber vor allem auch mental. Da ist das gedankliche Standhalten gegen diese Armeen von kleinen Piesackern – nicht wissend, wann wir sie endlich los sind – als auch das sich mentale Durchsetzen gegenüber dem Pferd. Das will in der Situation nämlich auch nicht so richtig. Verständlich. Dennoch bringt es nichts, einfach stehen zu bleiben. Erklär das mal dem Tier. Ein Kampf an mehreren Fronten für mich.

4. Acht Tage ohne Spiegel – kein Problem. Ich bin anscheinend echt nich eitel. Ich habe noch nicht einmal darüber nachgedacht, wie ich wohl aussehe. Dazu kommt eine ganz praktische Entdeckung: Draußen stinkt man weniger. Würde ich zu Hause bei diesen Temperaturen und körperlicher Anstrengung wahrscheinlich 2x täglich duschen, bleibt das hier draußen erst einmal aus. Hin und wieder ein Fluß – wenn man dabei nicht knietief im Schlamm versinkt –, Feuchttücher und etwas Dusche aus der Dose, fertig. Und es war keineswegs unangenehm. Dazu ist Warmwasser für mich ab sofort überbewertet. Anscheinend liebe ich es, draußen zu sein.

5. Ich esse zwar Fleisch, aber ich bin kein Fleischesser. Das war zu viel des Guten. So hin und wieder finde ich ein schönes Stück Steak ja echt lecker. Das ganze rund um die Uhr, ohne etwas Grünes dazwischen, wird echt schwierig. Von dem strengen Geschmack hier mal abgesehen. Oh, und Leber und keine Ahnung was für Innereien durfte ich auch probieren. Die besten Stücke waren extra für mich. Freu!

6. Wie man off-road Auto fährt – und ein paar andere nützliche Dinge. Und zwar nicht nur über etwas Wiese. Nein, über Sand, Steine – oder nennen wir’s Felsen – durch Flüsse und Spurrillen vermeidend, um nicht aufzusetzen. Für Fortgeschrittene das ganze dann auch gerne bei Nacht. Natürlich sind wir auch standesgemäß im Sand stecken geblieben. Das schien aber nicht an unseren Fahrkünsten, sondern tatsächlich an der Stelle gelegen zu haben. Unseren Helfern ging es nämlich genauso. Dafür weiß ich nun, wie man ein Auto aus dem Sand bekommt. Mit viiieeeel Geduld. Und ein paar anderen Tricks. Überbrücken mussten wir auch mehr als einmal. Das geht – so weiß ich nun – nicht nur mit Überbrückungskabel. Zur Not setzt man einfach kurz eine andere Batterie ein. Starten, Batterie wieder tauschen, weiter geht’s.

Auf den letzten Drücker organisiere ich mir mein Zugticket weiter nach China. Gerade noch rechtzeitig, bevor meine 30 Tage Mongolei ablaufen. Da sitze ich nun in meinem Abteil mit einer großen Frage im Kopf: Bin ich schon bereit für eine Großstadt wie Peking?

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